Die sogenannte "Weihnachtsrallye", ein potenzieller Kursanstieg an den Aktienmärkten um den Jahreswechsel, ist zwar ein historisch beobachtbares Phänomen, dessen Aussagekraft für das Folgejahr jedoch umstritten ist. Experten führen die veränderte Marktstruktur und den Einfluss diverser Faktoren, wie steuerliche Anpassungen von Portfolios und die Weihnachtsstimmung, an und raten von alleinigen Investitionsentscheidungen basierend auf dieser kurzfristigen Entwicklung ab. Stattdessen wird empfohlen, die Marktentwicklung im Januar und langfristige Trends, wie beispielsweise im Technologiesektor, zu beobachten.
Die sogenannte „Weihnachtsrallye“ beschreibt einen potenziellen Kursanstieg an den Aktienmärkten in den letzten fünf Handelstagen des Jahres und den ersten beiden des neuen Jahres. Der Begriff, 1972 vom Handelsexperten Yale Hirsch geprägt (Money), bezeichnet eine überdurchschnittliche Performance von Aktien in dieser Zeit. Dow Jones Market Data zufolge zeigten sich seit 1950 in 78% der Fälle Gewinne, mit einem durchschnittlichen Anstieg des S&P 500 von 1,3%.
Mehrere Faktoren könnten diese Rallye beeinflussen. Institutionelle Anleger justieren zum Jahresende ihre Portfolios, oft aus steuerlichen Gründen. Gleichzeitig verringert sich das Handelsvolumen durch die Urlaubszeit vieler Wall-Street-Profis, was die Auswirkungen von Käufen und Verkäufen verstärkt. Die Bedeutung privater Anleger, die oft optimistischer sind, nimmt zu. XTB führt in seiner Marktanalyse die erhöhte Euphorie am Jahresende auch auf nicht-fundamentale Gründe wie die Weihnachtsstimmung und den Zufluss von Weihnachtsgeld zurück. Zusätzlich schöpfen Anleger in dieser Zeit oft die Limits ihrer Investitionsprogramme aus.
Die Aussagekraft der Weihnachtsrallye für das Folgejahr ist jedoch begrenzt. Money nennt das Beispiel von 2023: Die Rallye blieb aus, der Aktienmarkt performte 2024 dennoch stark, laut Terry Sandven, Chefstratege bei U.S. Bank Wealth Management, aufgrund der nachlassenden Inflation. Umgekehrt folgte auf die Weihnachtsrallye Ende 2021 ein schwieriges Aktienjahr 2022. Auch Cointelegraph analysiert das Phänomen und merkt an, dass die traditionellen Faktoren für den von Hirsch beobachteten Aufschwung heute an Relevanz verlieren könnten, da sich Weltwirtschaft und Aktienhandel in den letzten Jahrzehnten stark verändert haben.
George Smith, Portfoliostratege bei LPL Financial, betont die veränderte Marktstruktur im Vergleich zur Entstehungszeit der historischen Daten. Die Demokratisierung des Handels durch Online-Plattformen und provisionsfreien Handel habe die Marktdynamik verändert. Sam Stovall, Chef-Investmentstratege bei CFRA Research, interpretiert die Weihnachtsrallye eher als Bestätigung bestehenden Optimismus.
Experten raten davon ab, Investitionsentscheidungen allein auf die Weihnachtsrallye zu stützen. Der Zeitraum sei zu kurz für aussagekräftige Schlüsse. Stovall empfiehlt stattdessen, den Januar zu beobachten: Ein positiver Januar im ersten Jahr einer US-Präsidentschaftswahl korreliert in 91% der Fälle mit einem positiven Gesamtjahr. Sandven von U.S. Bank Wealth Management sieht Technologie, insbesondere künstliche Intelligenz, als treibende Kraft für steigende Aktienkurse.
XTB analysierte die durchschnittlichen Monatsrenditen von S&P 500, DAX und STOXX Europe 600 über 24 Jahre. Der Dezember zeigte relative Stärke, war aber nicht der stärkste Monat. Je liquider der Markt, desto schwächer die Tendenz zu dieser Anomalie. Die Analyse zeigte auch höhere durchschnittliche Renditen während der Rallye-Periode im Vergleich zur durchschnittlichen 2-Wochen- und Dezember-Rendite, was auf stärkeres Wachstum zum Jahresende hindeutet. XTB empfiehlt Anlegern, die an der Weihnachtsrallye interessiert sind, den Einzelhandelssektor im Auge zu behalten, der vom erhöhten Konsum während der Feiertage profitiert.
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