Dezentrale soziale Medien bieten eine Alternative zu herkömmlichen Plattformen und versprechen mehr Nutzerkontrolle über Inhalte und Moderation, wodurch die Meinungsfreiheit gestärkt werden könnte. Gleichzeitig bestehen Herausforderungen hinsichtlich der Moderation von Hassreden und Fehlinformationen, sowie der Skalierbarkeit und der Gefahr der Fragmentierung. Die Frage bleibt, ob dezentrale Systeme tatsächlich mehr Meinungsfreiheit gewährleisten oder ob sie neue Probleme schaffen.
Traditionelle soziale Medienplattformen dominieren die digitale Kommunikation. Doch angesichts zunehmender Kritik an Zensur und algorithmischer Einflussnahme gewinnen dezentrale Alternativen an Bedeutung. Wie Cryptonews.net berichtet, wird die Diskussion über deren Potenzial und Risiken immer intensiver. Sind sie die Lösung für mehr Meinungsfreiheit oder bergen sie die Gefahr, Hassreden zu verstärken?
Die Sperrung des X-Accounts (ehemals Twitter) des iranischen Staatsoberhaupts Ali Khamenei im Oktober 2024 wegen eines Posts zu israelischen Luftangriffen verdeutlicht die Macht zentralisierter Plattformen über den öffentlichen Diskurs. Solche Sperrungen, wenn auch oft weniger prominent, betreffen auch regelmäßig normale Nutzer, was die Debatte über Zensur anheizt.
Statista zufolge wurden allein im zweiten Quartal 2024 auf YouTube rund 8,19 Millionen Videos automatisiert entfernt, gegenüber lediglich 238.000 Löschungen aufgrund von Nutzermeldungen. Diese Zahlen illustrieren das Ausmaß automatisierter Inhaltsmoderation und werfen Fragen nach Transparenz und Gerechtigkeit auf.
Dezentrale Plattformen wie Mastodon oder Lens Protocol gewinnen vor diesem Hintergrund an Popularität. Mastodon verzeichnete seit der Twitter-Übernahme durch Elon Musk im November 2022 einen Zuwachs von 2,5 Millionen aktiven Nutzern. Diese Plattformen versprechen eine Verteilung der Kontrolle, bringen aber Herausforderungen in Bezug auf Moderation, Verantwortlichkeit und Skalierbarkeit mit sich.
„Dezentralisierung bedeutet nicht den Verzicht auf Moderation, sondern die Übertragung der Kontrolle an die Nutzergemeinschaften bei gleichzeitiger Gewährleistung von Transparenz und Verantwortlichkeit“, erklärt Anurag Arjun, Mitbegründer von Avail, gegenüber BeInCrypto. Ziel dezentraler Plattformen ist es, den Einfluss von Unternehmen auf die Online-Kommunikation zu reduzieren und Nutzern die Möglichkeit zu geben, eigene Moderationsstandards zu definieren und umzusetzen.
Eine Studie des Pew Research Center zeigt, dass 72% der Amerikaner Social-Media-Unternehmen zu viel Macht über den öffentlichen Diskurs zuschreiben. Diese Skepsis ist auch auf dezentrale Systeme übertragbar, wo Transparenz in der Governance entscheidend ist, um zu verhindern, dass einzelne laute Stimmen die Konversation dominieren.
Ohne zentrale Aufsicht setzen dezentrale Plattformen auf Community-Moderation. Dieser Ansatz soll Inklusivität fördern, birgt aber auch das Risiko der Fragmentierung, wenn ein Konsens schwierig zu erzielen ist. Unterschiedliche Moderationsregeln auf verschiedenen Mastodon-Instanzen können Nutzer verwirren und die Community spalten.
Wikipedia dient als Beispiel für erfolgreiche Community-Moderation. Die Plattform wird von 280.000 aktiven Editoren gepflegt, die Millionen von Seiten weltweit betreuen. Transparente Prozesse und die Zusammenarbeit der Nutzer schaffen Vertrauen und schützen gleichzeitig die freie Meinungsäußerung.
Die Herausforderung für dezentrale Plattformen besteht darin, Meinungsfreiheit mit der Bekämpfung schädlicher Inhalte wie Hassreden, Fehlinformationen und illegalen Aktivitäten in Einklang zu bringen. Die Kontroverse um Pump.fun, eine Plattform, die Livestreams für Meme-Coin-Werbung ermöglichte und deren Missbrauch zu negativen Konsequenzen führte, verdeutlicht diese Problematik.
Tao Huang von der City University of Hong Kong und der Duke University School of Law argumentiert in seinem Artikel "Decentralized Social Networks and the Future of Free Speech Online", dass dezentrale soziale Netzwerke sowohl Chancen als auch Risiken für die Online-Kommunikation bergen. Er betont die Bedeutung einer wertorientierten Gestaltung und stellt zwei zentrale Fragen: Wie lässt sich das Dezentralisierungsideal mit dem Bedarf an Netzwerk-Zentralisierung vereinbaren, und wie können Nutzer ihre Kontrolle effektiv ausüben?
Auch ARTICLE 19, eine Organisation für Meinungsfreiheit, sieht in der Dezentralisierung der Content-Moderation eine Möglichkeit, die Macht weniger dominanter Unternehmen über die Online-Meinungsfreiheit einzuschränken. Sie schlägt vor, die Kontrolle über Inhalte auf eine Vielzahl von Content-Moderation-Anbietern zu verteilen, anstatt sie zentral von wenigen Unternehmen verwalten zu lassen.
Sasha Shilina, Autorin des Artikels "The future of social networking: Decentralization for user empowerment, privacy, and freedom from censorship", sieht in dezentralen sozialen Netzwerken ein transformatives Potenzial zur Lösung von Datenschutz-, Zensur- und Benutzerautonomieproblemen, die zentralisierten sozialen Medien inhärent sind.